Vom 6.-7.12.2019 fand an der FU in Berlin die 1. Jahrestagung der Societas Aperta Feminarum in Iuris Theoria (SAFI) statt. Im Zentrum stand der Begriff der „Anerkennung“. Hier wurde durch interdisziplinäre Beiträge die Doppelperspektive von politischer Praxis und philosophischer Theorie eingenommen. In der zeitgenössischen Debatte haben Fragen im Zusammenhang mit dem Begriff der Anerkennung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Denn eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Anerkennung ermöglicht nicht nur eine Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen und ihrer Einbindung in soziale, politische oder rechtliche Institutionen, sondern kann auch die Grundlage einer Kritik an gegenwärtigen sozialen Missständen sein. (Bspw. kann der Rechtspopulismus als Symptom einer fehlenden Anerkennung gedeutet werden oder etwa der während der Corona-Pandemie durch Applaus zu bestimmten Uhrzeiten ausgedrückte Dank der italienischen Bevölkerung als Anerkennung.)
Vor dem Hintergrund des großen Jubiläums des Frauenwahlrechts und den gegenwärtigen Herausforderungen für Recht und Politik durch fehlende Anerkennung, haben sich auf der zweitägigen Veranstaltung herausragende WissenschaftlerInnen aus der Philosophie, den Politik- und Rechtswissenschaften, und der Anthropologie aus sieben verschiedenen Ländern (Deutschland, England, Finnland, Österreich, Schweiz, Tschechische Republik, USA) zusammengefunden, um über den Zusammenhang von Recht und Anerkennung, zu diskutieren. So wurden u.a. Vorträge zur systematischen Struktur des Anerkennungsbegriffs gehalten, wie auch Zugänge aus der Sicht einer feministischen Rechtsphilosophie, Recognition of Gender Diversity, Migrating Recognition, Human Rights-Based Approach, bis zu der Anerkennung von Kindern als Grundrechtssubjekte.
Als Beispiel für einen politikwissenschaftlichen Zugang kann der Beitrag von Andrea Zeller „Die Anerkennungswürdigkeit politischer Institutionen im postnationalen Kontext“ genannt werden, der insbesondere der Frage nachging,mittels welcher Kriterien politische Institutionen im postnationalen Kontext als anerkennungswürdig eingeordnet werden. Sie lieferte einen sehr detaillierten Überblick über verschiedene Legitimitätskonzepte und deren Anforderungen. Die Konzepte wurden differenziert nach ihrer Berücksichtigung von Anerkennungswürdigkeit und Anerkennung. Dabei hat sie vor allem die Anerkennungswürdigkeit unter Heranziehung der politikwissenschaftlichen Konzepte zur Input-, Throughput- und Output-Legitimität in den Blick genommen. Kritisch hat sich die Referentin gegen die Annahme verwehrt, die Output-Legitimität im postnationalen Kontext sei ausreichend für die Anerkennungswürdigkeit inter- und supranationaler Institutionen. Mit Verweis auf das Agieren der Troika in der Eurokrise hat sie eindrücklich die Erweiterung der Anforderungen mit Blick auf die Input- und Throughput-Legitimität gefordert.
Ein Beispiel für einen philosophischen Zugang bietet der Beitrag von Kristina Lepold „Ambivalente Anerkennung“. Sie diskutierte wie der Begriff der Anerkennung gegenwärtig in der Philosophie diskutiert wird. dass der Diskussion ein grundsätzlich positives Verständnis von Anerkennung zugrunde liegt. Anerkennung bezeichnet ganz allgemein gesprochen all jene Einstellungen und Verhaltensweisen von Personen, die eine andere Person in zentralen ihrer Eigenschaften bestätigen und es ihr auf diese Weise erlauben, tatsächlich die Person zu sein, die sie ist. Sie schloss sich der Skepsis von Autor/innen wie Louis Althusser und Judith Butler an, insofern beide herausstellen, dass Anerkennung an der Aufrechterhaltung problematischer sozialer Ordnungen beteiligt und daher auch ein Mittel von Herrschaft sein kann. Auf diesen Befunden aufbauend plädierte sie für ein kritisches Anerkennungsverständnis und verwies darauf, dass Anerkennung ambivalent sein kann.
Eine juristische Perspektive wurde uns von Rike Sinder geliefert mit ihrem Beitrag „Die verfassungsrechtliche Anerkennung der Mutter-Kind-Beziehung“. Sie verwies darauf, dass Grund- und Menschenrechte Normen der Anerkennung sind, welche eine Tätigkeit, eine Beziehung, eine Eigenschaft und mithin das durch diese gekennzeichnete Subjekt rechtlich intelligibel machen. Sie stellte heraus, dass der besondere Schutzbereich von Art. 6 Abs. 4 GG auf bestimmte Mütter beschränkt wird: Verfassungsrechtliche Anerkennung wird nur Müttern zuteil, die ein Kind geboren haben; nicht solchen, die mit der Frau, die das Kind geboren hat, verheiratet sind (obwohl diese sozial als sog. Mit-Mütter oder Co-Mütter fungieren); und nicht solchen, die ein Kind adoptiert haben. Referenzpunkt bleibt das körperliche Faktum der Geburt. Alle anderen Mutter-Kind-Beziehungen werden allein durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern“. Sie diskutierte kritisch folgende Fragen: Doch welche Folgen hat dieses staatliche Bekenntnis zum „mütterlichen Denken“? Welche Ausschlüsse produziert die verfassungsrechtliche Anerkennung der Mutter-Kind-Beziehung im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 GG und welche Prekarität wird hierdurch erzeugt? Welche Mutter ist Mutter i.S.v. Art. 6 Abs. 4 GG und was hebt sie aus dem Kreis der Mütter (und Väter) derart hervor, dass sie „gemeinsame Zeit“ verdient?
Der abendliche Keynote-Vortrag wurde von Sophie Loidolt (TU Darmstadt) zum Thema „Recognition, Subjectivity, and Law“ gehalten, welcher durch eine sehr lebendige Diskussion abgerundet wurde. Sophie Loidolt stellte dabei die Frage, inwiefern sich das Konzept der Arendt‘schen Anerkennung auf das Recht übertragen lässt. Weitere Beiträge auf der Konferenz kamen von Noora Arajärvi, Christina Bambrick, Ana Canilla, Estefania Cuero, Linda Darilkova, Jessika Eichler, Andrea Lailach-Hennrich, Isabel Lischewski, Romina Rekers, Andreas Womelsdorf und Andrea Zeller. Ein Special Issue ist gerade in Vorbereitung.
Zweck des Netzwerks SAFI ist es nicht ausschließlich, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, sondern auch, die Position der Frauen in der Wissenschaft, welche sich dem Recht als Forschungsobjekt verschrieben haben, sichtbar zu machen und zu vernetzen. Deswegen haben die Organisatorinnen von SAFI (Anna Fruhstorfer, Kristin Y. Albrecht, Claudia Wirsing und Sabrina Zucca-Soest) großen Wert auf die Vernetzung der TeilnehmerInnen untereinander und mit VertreterInnen der wissenschaftlichen Verlage gelegt. Diesem Zweck diente etwa ein speziell eingerichtetes Panel am zweiten Tagungstag.
Sichtbar wurde der Bedarf nach weiblichen Rollenvorbildern, welche jungen Wissenschaftlerinnen zum Beispiel zeigen, wie man sich bei Diskussionen oder im Wissenschaftsbetrieb durchsetzen kann, ohne sich typisch männlich konnotiertes Verhalten aneignen zu müssen. Es kamen aber auch geschlechtsunabhängige Probleme von sog. Nachwuchswissenschaftlerinnen zwischen 30 und 40 Jahren, wie etwa die prekären Anstellungsverhältnisse während der Zeit der Familiengründung, zur Diskussion.
Die Tagung war ein gelungener Auftakt für unser SAFI-Netzwerk. Am schönsten war jedoch die sehr angenehme Atmosphäre und die gemeinsame Aufbruchsstimmung.