VON LOUISA HATTENDORFF
Am 16. Februar 2023 hat das Bundesarbeitsgericht ein Grundsatzurteil gefällt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt auch, wenn der Mann besser verhandelt. Das ist ein Meilenstein für die Entgeltgerechtigkeit. Als Gesellschaft für Freiheitsrechte haben wir die Klägerin Susanne Dumas mit ihrer Rechtsanwältin Susette Jörk begleitet. Was haben wir durch das Urteil erreicht? Und wie geht der (rechtliche) Kampf für gleiche Bezahlung weiter?
Susanne Dumas war mehrere Jahre im Außenvertrieb eines sächsischen Metallunternehmens tätig. Ihr männlicher Kollege, der nur zwei Monate zuvor eingestellt worden war, erhielt ein um 1000 Euro höheres Grundgehalt als sie – obwohl die Klägerin und der Kollege die gleiche Arbeit verrichteten und vergleichbare Qualifikationen sowie Arbeitserfahrung hatten. Der Arbeitgeber begründete den Gehaltsunterschied damit, dass der Kollege bei der Einstellung mehr Gehalt gefordert hatte. Dies wollte Susanne Dumas nicht hinnehmen und klagte auf gleiche Bezahlung – zunächst ohne Erfolg. Sowohl das Arbeitsgericht Dresden als auch das Landesarbeitsgericht Sachsen billigten die Begründung des Arbeitgebers: Die Gerichte entschieden, dass das Verhandlungsgeschick des Kollegen einen objektiven Grund darstelle, der die unterschiedliche Bezahlung rechtfertige.
Das Bundesarbeitsgericht sah dies im Februar 2023 anders: Arbeitgeber können sich zur Widerlegung einer vermuteten Entgeltdiskriminierung nicht darauf berufen, dass der männliche Kollege ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Denn sonst könne sich, so das Gericht, der Arbeitgeber nur allzu leicht der Beachtung des Grundsatzes der geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheit entziehen. In der Folge verurteilte das Gericht den ehemaligen Arbeitgeber von Susanne Dumas dazu, die Lohndifferenz sowie eine Entschädigung zu zahlen.
Das Urteil ist ein Meilenstein. Denn die freie Verhandelbarkeit von Löhnen benachteiligt Frauen. Dies hängt im Wesentlichen mit zwei Faktoren zusammen: Zum einen verhandeln Frauen ihr Gehalt seltener als Männer, zum anderen erzielen sie signifikant schlechtere ökonomische Ergebnisse, wenn sie ihr Gehalt verhandeln. Das haben Studien wiederholt nachgewiesen. Die Ursache hierfür liegt in den sozialtypischen Verhaltensweisen von Männern und Frauen begründet: Frauen fällt es typischerweise schwerer, in konfrontativen Verhandlungssituationen mit Nachdruck für ihre Interessen einzutreten und unterschätzen den Wert ihrer Fähigkeiten. Simulierte Bewerbungsgespräche haben außerdem gezeigt, dass sich ihre Verhandlungsbedingungen erschweren, wenn sie hartnäckiger verhandeln, also von ihrer sozial zugeschriebenen Rolle abweichen.
Dürfen Gehälter nun gar nicht mehr verhandelt werden? Doch, es ist nach wie vor zulässig, Gehälter zu verhandeln und auf höhere Gehaltsforderungen einzugehen, wenn diese durch objektive Kriterien begründbar sind. Zu diesen objektiven Kriterien gehören beispielsweise mehr Berufserfahrung, bessere Qualifikationen oder längere Betriebszugehörigkeit. Bisher nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Umständen auch marktbezogene Umstände eine ungleiche Bezahlung rechtfertigen können, also wenn der Arbeitgeber beispielsweise aufgrund von Personalmangel mehr Geld bieten muss, um neue Arbeitnehmer*innen zu gewinnen.
Die rechtliche Klarstellung, dass gleiche Bezahlung nicht wegverhandelt werden kann, war überfällig. Doch der Weg zur Entgeltgerechtigkeit ist noch lang. Auch im Jahr 2023 beträgt der Gender Pay Gap in Deutschland noch 7 %, unbereinigt sogar 18 %. Damit liegt Deutschland im Vergleich mit EU-Ländern hinten, nur in Österreich, Estland und Lettland ist der Gender Pay Gap noch größer. Dabei ist der Anspruch auf gleiche Bezahlung für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit bereit seit 1957 in den Europäischen Verträgen verankert, heute in Art. 157 AEUV. Auch das Grundgesetz verbietet geschlechtsspezifische Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Im Jahr 2017 ist zudem das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft getreten, das in § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG einen speziellen Anspruch auf gleiche Bezahlung statuiert und diesen Anspruch durch ein Auskunftsrecht absichert. Warum steht es in Deutschland also so schlecht um Equal Pay?
Massive Probleme in der Rechtsdurchsetzung sind ein Teil der Erklärung. So gilt der Auskunftsanspruch nur in Betrieben mit über 200 Mitarbeitenden und selbst dort nur, wenn sechs Vergleichspersonen des anderen Geschlechts im Betrieb tätig sind. Der zweite Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Entgelttransparenzgesetz hat zudem offengelegt, dass bisher nur 4 % der Anspruchsberechtigten von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht haben. Doch selbst wenn Auskunft beantragt wird, ist diese nur bedingt hilfreich: Das Auskunftsrecht bezieht sich nämlich auf den Median, nicht den Durchschnitt. Besonders hohe oder niedrige Gehälter werden folglich außer Acht gelassen. Weiterhin sieht das Entgelttransparenzgesetz keine Sanktionen und keine Arbeitgeberpflichten vor – und verpasst damit die Chance auf strukturelle Verbesserung. Hinzu kommt, dass Gerichte die Beweiserleichterung hinsichtlich der Entgeltdiskriminierung in der Praxis oftmals ignorieren und ein Klageverfahren zu – illegaler – Repression im Arbeitsverhältnis führen kann.
Hoffnung macht der Pay Transparency Act, eine EU-Richtlinie, die viele Kritikpunkte am Entgelttransparenzgesetz aufgreift. So richtet sich der in der Richtlinie vorgesehene Auskunftsanspruch auf das Durchschnittsgehalt und gilt unabhängig von der Betriebsgröße. Auch für Bewerber*innen verbessert sich die Situation: Der Arbeitgeber muss über das Einstiegsgehalt in dem Unternehmen informieren und darf nicht nach dem bisherigen Gehalt fragen. Betriebe ab 100 Mitarbeitenden müssen über die interne Gender Pay Gap berichten. Liegt dieser über 5 %, schreibt die Richtlinie eine unabhängige Gehaltsprüfung vor. Auch die Durchsetzung im gerichtlichen Verfahren soll verbessert werden, indem Antidiskriminierungsverbände und Arbeitnehmervertretungen im Namen der Beschäftigten tätig werden können, um systematische Diskriminierung aufzudecken. Zur Umsetzung der Richtlinie wird das Entgelttransparenzgesetz bedeutend weiterentwickelt werden müssen; der Bundestag hat hierzu bis zum Jahr 2026 Zeit.
Der Weg zur Entgeltgerechtigkeit ist noch lang – besonders wenn man nicht nur den Gender Pay Gap, sondern auch den Gender Pension Gap, Motherhood Penalty oder den Migrant Pay Gap betrachtet. Der Pay Transparency Act und auch das Urteil weisen jedoch in die richtige Richtung. Als Folge des BAG-Urteils im Februar müssen Arbeitgeber jetzt außerdem prüfen, ob Gehaltsunterschiede in ihrem Betrieb darauf zurückzuführen sind, dass Männer mehr Gehalt gefordert haben. Ist das der Fall, müssen die niedrigen Gehälter angepasst werden. Gleiche Bezahlung kann nun nicht mehr wegverhandelt werden.
Louisa Hattendorff war Legal Fellow bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie engagiert sich unter anderem im Deutschen Juristinnenbund (djb) für Entgeltgerechtigkeit.